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Unter dem Feigenbaum

Eine malerische Landschaft geprägt von Hügeln, Bäumen, Rebstöcken und zwitschernden Vögeln liegt vor mir. Ein Ort wie aus einem romantischen Bilderbuch geschnitten. Mit dem Titel «unter dem Feigenbaum» hört sich das Ganze nicht nur wunderschön an, sondern entspricht sogar zu 100% der Wahrheit.

Vor unserem kleinen AirBnB-Häuschen steht tatsächlich ein grosser Feigenbaum sowie zwei Liegestühle, die unter einem Ausläufer des Baumes Platz finden. Über die Mauern aus zusammengewürfelten Steinen im Toskana-Stil wächst zudem irrsinnig viel Rosmarin, auch das ist ein schöner Ausblick. Um vor Stress in seinen vielen Facetten zu entkommen, haben Sarah und ich uns entschieden, vor unserem Hochzeitsfest noch etwas Urlaub einzuschieben – in diesem Kontext fiel unsere Entscheidung auf einen abgelegenen Ort an der Grenze zwischen Umbrien und der Toskana (Italien). Hier verbringen wir nun ein paar ruhige Tage und versuchen die lang ersehnte Entspannung herbeizuführen.

In den letzten Monaten war ich mit extrem vielen Dingen gleichzeitig beschäftigt, so erschien es mir selbst jedenfalls. Da man sich in einer solchen Phase mit keinem Thema richtig auseinandersetzen kann, man hochgradig ineffizient arbeitet und sich eher reaktiv verhält, bleibt auch das Erfolgsgefühl bei erledigten Dingen weg und lässt dich komplett unbefriedigt zurück. Mittlerweile habe ich das Gefühl, dieses Tal der Tränen langsam hinter mir zu lassen. Endlich. Dies ist zumindest ein Mitgrund, weshalb ich nun hier in den umbrischen Tiefen einer verträumente Landschaft verweile und das Klackern der Laptop-Tastatur still durch die Gegend schallt und sich lediglich mit dem chaotischen Krähen eines Hahns duelliert, dem wohl ziemlich egal zu sein scheint, dass es bereits mitten im Nachmittag ist.

Die ca. 700 Kilometer von der Schweiz bis hierher haben wir mit dem Tesla Model 3 zurückgelegt, den wir liebevoll Mjølnir nennen. Um hier ganz kurz in etwas Nerdtalk abzudriften: Es ist absolut beeindruckend, mit welcher Effizienz sich dieses Fahrzeug fortbewegen kann. Im Schnitt über die gesamten 700 Kilometer haben wir pro Kilometer ca. 140 Wh benötigt und der gesamte Energiebedarf lag bei etwas über 100 KWh. Sag-en-haft. Nun gut, die Reise war ohnehin in mehreren Hinsichten aufregend. An dieser Stelle lässt sich kurz an das Fahrverhalten unserer italienischen Nachbarn appellieren, was teilweise unglaublich gefährlich ist. Links, rechts vorbei schiessen und dann wieder 1,5 Meter hinter dir drängeln. Mit 40 Kilometer pro Stunde mehr als erlaubt über die holprigen Strassen brettern und gefährliche Manöver fahren? Hier drüben im lauschigen Nachbarland kein Problem. Die schrägen Schilder, die alle 50 Meter am Rand der bröckligen Strassen aus dem Boden ragen, scheinen mehr Empfehlung als irgendetwas anderes zu sein. Ein Blinker als Richtungsanzeige zu verwenden, scheint in Italien gar verboten zu sein. Die Strassen als solches sind natürlich ebenso abenteuerlich. Einerseits wird auf den besagten Schildern alle 50 Meter auf Bodenwellen oder instabiler Belag hingewiesen und andererseits sind diese Adjektive für die Beschaffung der Strassen nahezu durchgängig einsetzbar. Okay, ich bemerke gerade, dass sich zu diesen Themen doch etwas mehr Frust in mir anstaute als ich erst dachte. Daher genug davon. Trotzdem musste ich dies hier in meiner Worthalde kurz loswerden, da es auch einfach scheisse gefährlich ist und Autofahren gespickt mit Schreckmomenten nur so semi Freude bereitet.

In meiner Kindheit wurde mir jeweils gesagt, ich hätte süsses Blut. Dies wurde mir als einleuchtende und solide Argumentation eingeflösst, da ich (so meine ich mich zu erinnern) überdurchschnittlich viel von Mücken und anderem Getier gestochen wurde. Diese uralten Gedanken wurden aus den Tiefen meines Ichs hochgeschleudert, als ich 15 Sekunden nach dem Aussteigen an einem Supercharger (in der Nähe von Arezzo) von einer Tigermücke gestochen wurde. Der kleine Hypochonder in meinem Innern winkte mit besorgter Mimik von der anderen Seite des gedanklichen Zauns, ein Schild mit der Aufschrift «Malaria» hochhaltend. Heute, drei Tage und etwa 25 Stiche später, geht es mir nach wie vor gut auch wenn ich die abendliche Sonnenuntergangsstimmung aufgrund des herrschenden Mücken-Geschwirrs eher zu meiden versuche. Wer kennt es schliesslich nicht? Das leise Summen des langanhaltenden Juckens und Schmerzens ganz nah am Ohr. Während meine Finger gerade flink über die Tasten sausen und ich hier draussen unter dem Feigenbaum sitze, brennt neben mir eine Citronella-Anti-Mücken-Kerze und ich bin förmlich benetzt von einer Substanz namens «VAPE Derm Scudo Attivo – Lunga Durata». Mein Vertrauen nicht weiter gestochen zu werden fusst derweil auf der übersichtlich und ganz okay’schen gestalteten Etikette der Sprühflasche und den sechs klar hervorgehobenen Abbildungen von Insekten, die damit abgehalten werden sollen.

Nun hätte ich es fast vergessen. Dieser Supercharger in der Nähe von Arezzo. Ein merkwürdiges Fleckchen auf dieser schönen Erde. Die Ladestation befindet sich hinter einem grossen Hotel der Marke «unbewohnt» und wird lediglich von einigen dem Personal zugehörigen Personen belebt. Wobei Belebung in diesem Kontext bedeutet, dass man in den leeren Hallen des Gebäudes jeweils auf maximal eine einzige Person trifft, die einem wortkarg die Richtung zur Toilette weist. Die Toilette ist auch spannend! Beim Eintreten erwartet dich dort ein Raum mit durchgehend, raumhohen Spiegeln an den Wänden. Nachdem man sich irritiert umblickte und einen ersten Versuch unternahm sich darin zurechtzufinden, bemerkt man schliesslich, dass sich einzelne Spiegel als Türen zu einzelnen Kabinen aufdrücken lassen. Ohne Türgriffe versteht sich. Dies allein lässt vermutlich das Reinigungspersonal regelmässig lange, italienische Flüche gegenüber dem Innenraumgestalter ausstossen. Die Toilettenkabine als solches ist dann relativ unspektakulär, abgsehen von einer quadratischen WC-Schüssel und keinem Papier – in keiner Kabine. Und nein, es waren keine automatisierten High-Tech Toiletten. Nun gut, dem Geisterhaus und der Blasenschwäche entronnen steht man dann wieder hinter dem Hotel und betrachtet dieses bizarr wirkende Gebäude. Das Bizarre daran ist primär die absolut verlassene Erscheinung und das grosse Fragenzeichen über dem eigenen Kopf, wie sich so etwas für den Betreiber nur im Ansatz rechnet – so ganz ohne Gäste. Nach mehrmaligem Besuchen des Ortes kamen auch andere Gedanken auf… könnte es sich dabei um einen mysteriösen Umschlagsplatz für grossen Mengen Drogen handeln?

Wie dem auch sei, ich gleite derweil desöfteren in eher destruktive Gedankengänge ab. Wobei es vielleicht auch einfach der Wahrheit entspricht, immer wieder in merkwürdige Situationen verstrickt zu sein. Wer weiss das (heutzutage) schon?

Bevor wir dieses Kapitel nun schliessen, kann ich noch ganz kurz von einem Trip nach Siena berichten. Wir waren da an einem echten Markt!

Kreisch.

Belebt wurde diese Stadt von rund 100 Millionen Touristen und einem schönen, alten Gemäuer in der Stadtmitte. Das haben wir uns natürlich nicht entgehen lassen und sind gemütlich auf diesem Fort herumspaziert. Dort haben wir auch Angelo getroffen. Angelo ist eine gemeine Doppel-Grünstreif-Echse. Angelo ist cool.

Da der Hahn in der Ferne nun verstummte und vermutlich durch ein Schwarm todbringender Hornissen niedergeknüppelt wurde, werde ich diesen Beitrag nun langsam aber sicher zu einem Ende kommen lassen. Es gibt aktuell einige Themen in dieser Welt, die Sarah und mich immer wieder beschäftigen und denen ich – wenn die Zeit reif ist – auch gerne ein paar Worte widmen möchten.

Ein Stichwort als Beispiel: Amazonasbrände.

Con queste parole, arrivederci.

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